Parson und Jack
Russell Terrier sind quicklebendige Hunde, für die es nichts
Schöneres gibt, als sich ohne Leine in der freien Natur auszutoben.
Damit der Freilauf gefahrlos und ohne Risiken für den Hund und das
Wild ablaufen kann, sollte er von Welpenbeinen an trainiert werden.
Beim Welpen ist es einfach: Hundekinder verfügen über den
sogenannten Folgetrieb, der sie dazu drängt, unter allen Umständen
bei ihrem Rudel – oder ersatzweise bei ihren Menschen - zu bleiben.
In sicherem Gelände, abseits von Autostraßen und Radstrecken,
gewöhnt man am besten schon den Welpen an ein Leben ohne Leine.
Ab und zu bekommen kleine Russells ihre „närrischen fünf Minuten“,
wo sie wie betrunken von Lebenslust und Übermut über Stock und Stein
rasen. Es empfiehlt sich, stehenzubleiben, das Kerlchen austoben zu
lassen, diese beglückenden Augenblicke einfach zu genießen und vor
allem darüber zu wachen, dass diese närrischen Rasereien da
stattfinden, wo Klein-Russell nichts zustoßen kann. Erste kleine
Rückruf-Übungen finden besser statt, wenn der oder die Kleine wenig
abgelenkt ist. Jedes Kommen wird ausgiebig mit einem kleinen
Spielchen oder einem Leckerli belohnt.
Hat sich der Welpe einmal daran gewöhnt, die große weite Welt ohne
Leine erkunden zu dürfen, taucht nach einiger Zeit einmal der Moment
auf, wo er sich allzu wagemutig von seinem Menschen entfernt und auf
Zuruf mangels Können und Übung des „Komm“ noch nicht sofort kehrt
macht. Die falscheste Reaktion wäre es, dem kleinen Ausreißer rufend
nachzulaufen. Viel besser ist es, in die Hocke zu gehen und durch
einen Ruf auf sich aufmerksam zu machen – oft hilft schon diese
Maßnahme, weil der „kleine“ Mensch aussieht, als wäre er plötzlich
weit weg. Und „weit weg“ signalisiert – man denke an den Folgetrieb
– dem jungen Hund: nichts wie hin zu meiner Truppe, die lassen mich
hier sonst sitzen. Eine weitere Möglichkeit ist es, tatsächlich in
die andere Richtung zu laufen und damit den Folgetrieb auszulösen.
Ist der kleine Entdecker zu abgelenkt, um derartige Maßnahmen
überhaupt zu bemerken, spielt Mensch den Pausenclown: lautes Johlen,
Toben, aufgeregtes Herumspringen, womöglich noch unter Einbeziehung
eines Lieblingsspielzeugs. Wer kann da schon widerstehen, neugierig
näher zu kommen und nachzusehen, was hier Großartiges los ist?! Am
allerwenigsten – ein neugieriger Jungrussell!
Wenn kleine Extratouren öfter auftreten, der Welpe also zum
entdeckerfreudigen und immer selbständigeren Junghund herangewachsen
ist, ist es Zeit, ihm klarzumachen, dass nicht nur der Mensch auf
den Hund, sondern auch der Hund auf den Menschen achten muss. Dies
geschieht, indem der Mensch, wenn Jung-Russell nicht hersieht, sich
hinter einem Baum o.ä. versteckt, dabei aber den Kleinen nicht aus
den Augen verliert. (Manche jungen Hunde geraten in Panik, wenn sie
ihren Menschen verloren glauben und rasen in Panik zum Ausgangspunkt
zurück – wenn der Kleine nicht mit der Nase sucht oder suchend um
sich blickt, sondern in vollem Galopp losrennt, muss er schleunigst
zurückgerufen werden!)
Sollte das plötzliche „Fehlen“ des Menschen nicht bemerkt werden,
macht man mit einem kurzen Ruf auf sich aufmerksam. Meist wird es
zunächst einen Schreckmoment geben, danach je nach Temperament eine
freudig erregte bis verzweifelte Suche und zuletzt ein begeistertes
Wiederfinden.
Dieses Spiel – denn ein hochinteressantes Nasenspiel ist das für
einen Russell auch noch im Erwachsenenalter – sollte ab jetzt öfter
mal in einem Spaziergang eingebaut werden. Jung-Russell lernt
dadurch, seine Menschen möglichst nie vollkommen aus dem Blickfeld
zu verlieren.
Rückrufsignale beim heranwachsenden Junghund sollte man zum ÜBEN
zunächst immer so anbringen, dass sie auch wirklich befolgt werden
(also wenn Herr oder Frau Hund grade nichts Wichtiges im Sinn zu
haben scheint) - ansonsten wird man zum Hund für ein angenehmes
Glockengeläut mit Standortmeldefunktion. Da kann er nämlich in aller
Ruhe seinen Exkursionen nachgehen und weiß praktischerweise immer,
wo Mensch sich aufhält, weil der es ja so tüchtig meldet.
Es sollte so selten wie möglich passieren, dass man den Hund ruft
und er befolgt das Signal nicht. Für jedes prompte Kommen auf Zuruf
wird der Hund natürlich nach allen Regeln der Kunst mit Spiel
und/oder Leckerli belohnt.
Irgendwann zwischen dem 6. und 8. Monat beginnt die Pubertät, die
Rüpelphase. Der Hund hat nun ein Alter erreicht, in dem er in freier
Wildbahn langsam auf eigenen Beinen stehen müsste. Es ist also nicht
böser Wille, Sturheit, o.ä., wenn sich ein Hund in diesem Alter
selbständig macht, sondern ein vollkommen natürlicher und
ursprünglich lebensnotwendiger Vorgang. Die Aufgabe des Menschen in
dieser für die Zukunft so wichtigen Zeit ist es, seinem Hund ein für
alle Mal klarzumachen:
-
Mein Mensch ist der
Mittelpunkt. Da wo mensch ist, ist Futter, Belohnung, Vergnügen,
Zuwendung – kurzum alles, was ich schätze
-
Ich gehe nicht
allein auf Jagd nach Hase und Reh, sondern gemeinsam mit meinem
Menschen auf Jagd nach Bällen, Frisbees und Leckerli
-
Wenn Mensch mich
ruft, bin ich zur Stelle, egal, wie spannend es grade anderswo ist
Folgendes
Punkteprogramm kann in dieser Umstellungsphase hilfreich sein:
1. Jeder Spaziergang beginnt an der Leine, bis ein guter
Sicherheitsabstand zur Straße erreicht ist.
2. Der Spaziergang wird wie ein Musikstück unter ein VORZEICHEN
gesetzt, nämlich das Vorzeichen "brave Hunde haben's gut". Sprich:
ohne Leine wird in rascher Folge alles durchexerziert, was der Hund
an Sitz-Platz-Sitz- und sonstigen Künsten (auch Kunststücke) drauf
hat, und das wir ausgiebigst mit Leckerli, Lob und Spiel (kurzes
Zerrspiel mit Spielzeug) belohnt. Somit steht dem Hund beim
folgenden Spaziergang deutlich vor Augen: da geht mein Mensch,
wandelndes Leckerli und Vergnügungsautomat in einem.
3. Auch Hunde können sehr genau zwischen Straße, Weg oder Pfad und
Gelände unterscheiden. Es empfiehlt sich, dem Hund, bis er ein
vollkommen „sicherer“, also durch zurufe steuerbarer, Freiläufer
ist, die leicht erkenn- und erlernbare Grenze „Weg“ zu setzen. Er
darf den Weg/Pfad nach Herzenslust vor- und zurückrennen, ihn aber
nicht verlassen. (Ausnahme: zum Lösen; da sieht mensch es ganz
gerne, wenn Herr oder Frau Hund nicht die Mitte des Weges, sondern
ein etwas weniger betretenes Plätzchen seitwärts im Gebüsch wählt.
Hunde sind in der Lage, zu begreifen, dass seitwärts „austreten“
schon erlaubt ist, seitwärts ausbüxen aber nicht.)
4. Nach ein paar Metern ohne Leine, wenn der erste Stoffwechsel- und
Schnüffeldrang vorbei ist, wird der Hund immer wieder mal
zurückgerufen und fürs Kommen belohnt.
5. Niemals latscht man lange Strecken einfach so vor sich hin. Immer
wieder zwischendurch sollte für interessante kleine Einlagen gesorgt
werden: Den Hund auf einen umgefallenen Baumstamm oder -stumpf als
Klettergerät hinweisen (Freudengeschrei), Spielzeug werfen oder
zergeln, Stöckchen oder Zapfen werfen, Leckerli suchen lassen,
Löcher buddeln lassen, Schwimm-Möglichkeiten anbieten etc. oder
einfach so eine kleine Runde raufen, lachen, gröhlen, Radau machen -
das lieben sie!
Zwischen all dem Vergnügen auch mal ein wenig Arbeit, Gehorsam, Sitz
und/oder Platz auf Distanz. Durch solche Aktionen wird dem Hund
immer wieder in Erinnerung gerufen: nicht ICH gehe, sondern WIR
gehen spazieren. Da, wo der Mensch ist, spielt die Musik.
6. Wenn man mal eine Strecke einfach so vor sich hin geht, weil man
natürlich nicht permanent Lust hat, den Unterhaltungschef zu
spielen, behält man den Hund scharf im Auge. Dann hat man sehr bald
heraus, auf welche Vorzeichen er sich demnächst seitwärts in die
Büsche aufmachen wird. Manchmal ist es nur ein ruckartiges
Straffwerden, oder Stehenbleiben und in den Wald wittern, oder
plötzlich den Trab beschleunigen und mit gesenkter Nase und
zugeklappten Ohren Richtung Horizont verschwinden. Je eher man sich
da schon bei den ersten Vorzeichen in Erinnerung ruft, desto größer
sind die Chancen, tatsächlich gehört zu werden.
Wenn er schon mal im Renngalopp zwischen den hintersten Bäumen
verschwunden ist oder im forcierten Trab ganz vorne ein Punkt in der
Landschaft, dann wird's schwierig.
Ruft man den Hund RECHTZEITIG ab, sozusagen, wenn ihm grade der
Gedanke zum Abhauen kommt, merkt man manchmal richtig, wie er sich
zurechtrappelt und "aufwacht". "Oh, hätte ich fast vergessen, da ist
ja mein Mensch samt Futter und Vergnügen - na prima!"
7. Wenn der Hund in der schwierigen Phase und man selbst abgelenkt
ist (was z.B. meist der Fall ist, wenn man als Mensch mit
seinesgleichen plaudernd spaziert), sind kleine Abhau-Unfälle
vorprogrammiert - weil man eben nicht die richtige Sekunde zum
Zurückrufen erwischt. Wenn da noch kein gutfunktionierendes Rückruf-
oder Abbruchsignal eintrainiert ist, wäre es entspannender, den Hund
an der Leine zu lassen.
8. Passiert es doch einmal, und der Hund verlässt mehr oder weniger
eilig den Weg, genügt oft ein kurzes energisches NEIN! Wird das
nicht gehört, steht man vor dem Problem, dass man einen Hund fürs
Zurückkommen nie bestrafen darf, ihn aber fürs Abhauen auch nicht
grade loben will. Eine „diplomatische Lösung“ wäre, ihn nach dem
Zurückkommen eine Runde Sitz/Platz machen zu lassen und den
Ausreisser oder die Ausreisserin DAFÜR zu belohnen. Und danach
gibt's ein paar Minuten Auszeit an der Leine.
Summa summarum sind die Spaziergänge mit einem Terrier im Rüpelalter
nicht das, was man reinste Erholung und Entspannung nennen würde.
Weil man sich eigentlich ständig auf den Hund konzentriert, ihn
immer im Auge behält, seine Absichten zu lesen lernt. Andererseits
ist dieses intensive MITEINANDER spazieren Gehen sehr interessant,
fördert die Mensch-Hund-Bindung ungemein - und die Investition kommt
später -zigfach zurück.
Mit einem Terrier, der auch nur eine geringfügige Jagdpassion hat,
kann man wohl nie völlig achtlos und unaufmerksam spazieren gehen.
Aber ein Terrier - auch ein triebiger Terrier - kann lernen, auf
seinen Menschen und dessen Signale zuverlässig zu hören, weil er
dieses „Hören“ als besonders lohnend betrachtet. Und ein Mensch kann
lernen, seinen Terrier so gut einzuschätzen, dass er in jeder
Situation und in jedem Umfeld ein Gefühl dafür entwickelt, ob er
seinen Hund auch ohne Leine unter Kontrolle behalten kann oder es
sinnvoller ist, unter bestimmten Bedingungen den Hund lieber doch an
die Leine zu nehmen.
Text/Fotos:
Romana Fürnkranz
|