Britisches Urgestein, der Richter und sein Hund

Interview mit Edwin Winder, Richter am Jack Russell Terrier Festival 2003 in Jena

Mr Winder, zu Ihrer Heimat befragt, ist Ihre Antwort immer nur: ”Cumbria”. Wo liegt das? Wie sieht es da aus?
Aber Cumberland Soße sagt Ihnen etwas? Na also. Cumbria ist Cumberland und in Cumbria ist der Lake District, eine der wildesten und schönsten Landschaften in England. Ein beliebtes Urlaubsziel übrigens auch für Ihre Landsleute. Dort leben wir.

Halten und züchten Sie deshalb Lakeland Terrier, weil das der regionale Jagdhundtyp ist?
Ja, sicher, der Lakeland ist auf die Fuchsjagd in diesem Gebiet spezialisiert. Er entspricht in allem dem Hund, den wir für die Jagd brauchen: dichtes harsches Fell, starke Kiefer und gute Nackenmuskulatur. Mit meiner Zucht habe ich mich außerdem auf schokoladenbraune Lakelands verlegt.

Sind das Merkmale, die Sie bei allen Arbeitsterriern voraussetzen? Während des Richtens fiel mir auf, wie sorgfältig Sie bei jedem Jack Russell im Ring Fell und Gesicht kontrolliert haben.
Gesicht?

Ich hatte den Eindruck, Sie schauen jedem Hund tief in die Augen ...
Das mache ich immer, bei jedem Hund, der mich interessiert. Zunächst kann ich so den Unterkieferknochen und das Gelenk abtasten, die Muskeln fühlen und dann kann ich dem Hund ansehen, ob er’s in den Augen hat.

Was?
Kann ich nicht sagen, ich sehe es ihm eben an, ob er innendrin Terrier ist. Ja, und das Fell ist mir deshalb so wichtig, weil wir bei Kälte, Wind und Regen oft an die drei Stunden Fußmarsch haben, bis wir zu den Fuchsbauten kommen, die wir bejagen. Bis dahin dürfen unsere Hunde noch nicht nass sein bis auf die Haut, sonst können sie dann nicht mehr arbeiten. Da wo wir jagen, kann uns auch kein LandRover mehr hinbringen, da geht’s nur noch zu Fuß. Wir arbeiten ganz anders als die im Süden oder sonstwo in England  und unsere Terrier deshalb auch. Das Gelände ist steil und felsig, da muss sich der Hund im Bau alleine weiterhelfen, den Fuchs unter der Erde abtun und herausziehen. Wir können oben in den Bergen einfach nicht graben oder irgendwie dem Terrier im Bau helfen. Deshalb braucht er mehr Aggression und mehr Kraft im Kiefer und im Nacken als andere Arbeitsterrier.

Halten Sie auch Jack Russells?
Ja, aber die müssen die gleichen körperlichen und mentalen Anforderungen erfüllen, wie meine anderen Hunde.

Also weiße Lakelands
Nein, starke Russells.

Ihre Art zu Jagen hört sich ziemlich anstrengend und zeitaufwändig an. Sind Sie Berufsjäger?
Dann wären wir schon verhungert. Nein, ich gehe nach der normalen Arbeit und am Wochenende zur Jagd.

Im Unterschied zu den Shows, die Sie in England richten, wie fanden Sie die Russells, die sie hier gesehen haben?
Gesehen oder gerichtet?

Gerichtet
Erstaunlich gut. Und zwar alle. Es wa
ren keine Hunde dabei, die mich wirklich enttäuscht haben. Insgesamt hätte ich hier nicht so viele gute Jack Russells erwartet. Das hat mich gefreut.

War es für Sie, verglichen mit England, ein großer Unterschied, hier in Deutschland zu richten?
Ganz sicher. Wenn ich auf einer englischen Terrier-Show richte, kennen mich vorher schon die meisten Aussteller und bringen von vorneherein die Hunde mit, die sie für meine Favoriten halten. Hier bin ich neu, hier kennt mich fast niemand. Die Leute waren also ganz unbeeinflusst und haben mitgebracht, was sie für ihre besten Russells hielten. Für mich war das viel angenehmer. Ich hoffe, ich habe niemanden enttäuscht. Aber ich habe schon als Antje Heller mich wegen der Show angerufen hat, gefragt, ob es hier irgendwelche Besonderheiten gibt, ob ich nach Parson-Standard richten soll oder sowas.

Und, welche Anweisungen haben Sie bekommen?
Keine. Ich sollte nach Edwin-Winder-Standard richten.

Wie sieht der denn aus?
Naja, eben Jack Russells nach ihren traditionellen Arbeitsterrierkriterien.

Sie hatten doch früher schon Jack Russell Terrier Shows auf dem Kontinent gerichtet.
Sicher, aber zwischendurch ist irgendwie das Gerücht entstanden, ich sei gestorben, da bin ich offensichtlich in den letzten paar Jahren in Vergessenheit geraten ...

???
Naja, bei einem Jagdunfall wurde mir fast eine Hand abgerissen, jedenfalls mussten wir zu Fuß zurücklaufen und dabei ist schon viel Blut getropft ... Irgendwie ist der Unfall im Jägerlatein immer schwerer geworden, bis mich in Holland bei einer Ausstellung jemand in der Menge entdeckt hat und laut durch die Halle rief: “Sie leben ja noch! Edwin, bist Du das, ich hab gedacht, Du wärst tot.” Da hab ich dann gewusst, warum ich nicht mehr zum Richten eingeladen wurde.

Schon ziemlich makaber, oder?
Ic
h lebe ja noch. Die Leute in Cumbria sind zäh, wissen Sie.

Fanden Sie das Richten beim Festival sehr anstrengend?
Nein, eher lo
cker und angenehm. Die Leute waren alle gut drauf. Sicher kamen manche und wollten wissen, weshalb ich so und nicht anders entschieden habe. Aber das waren interessierte Fragen und keine Nörgelei. Das hat mich sehr gefreut. Ich habe zudem erfahren, dass bei Ihnen die Zuchterlaubnis nicht an eine Platzierung gebunden ist. Vielleicht waren die Leute deshalb auch so locker. Mancher hat sich ja sicher eine bessere Platzierung vorgestellt. Aber wichtig ist mir, dass jeder überzeugt ist, sein Hund ist gewissenhaft und fair beurteilt worden.

Anm.: Das Interview mit Mr Winder ist übersetzt und redaktionell nachbearbeitet, entspricht in Formulierung weitgehend und im Inhalt vollständig des Antworten von Mr Winder.

Anette Otterbach